Do. Nov 7th, 2024

Der österreichische Film Luzifer war eine ganz besondere Erfahrung auf den diesjährigen Fantasy Filmfest Nights und so anders als ich erwartet hätte. Im Zentrum steht die äußerst gläubige Mutter Maria, die mit ihrem Sohn Johannes abgeschiedenen in einer Hütte in den Alpen lebt. Hier versucht sie alles, um ihn vor dem Teufel und dem Bösen, das sie vermeintlich umgibt, abzuschirmen.

Produziert wurde das ganze von Ulrich Seidl, den ich zum Beispiel wegen seiner “Paradies” Filmreihe schätze. Seidl erzählt außergewöhnliche Geschichten über alltägliche Menschen. Anstatt von Hollywood Schönheiten, kommen in seinen Filmen immer wieder Figuren vor, die selbstbewusst ihren Hängebusen oder ihre Speckrollen zeigen. Es geht um Themen wie Liebe, Glaube oder auch Prostitution. Unterstützt wurde er dabei von Autorin und Regisseurin Veronika Franz, die mit ihm die Ulrich Seidl Filmproduktion gründete und für so tolle Filme wie “Ich seh Ich seh” oder The Lodge verantwortlich ist.

Wo ist der Teufel

Dieser authentische Blick auf Menschen und ihre Geschichten spielt auch bei Luzifer eine Rolle. Ja, am Ende geht es wie der Name bereits andeutet, um eine Teufelsaustreibung und das vermeintlich Böse wird immer wieder thematisiert, jedoch vor allem im übertragenen Sinne. Der Film lässt sich viel Zeit, um uns langsam in diese Nebel verhangene, mysteriöse Bergwelt eintauchen zu lassen und die abgeschiedene kleine Welt zu erleben, die Mutter Maria für sich und ihren Sohn geschaffen hat. 

Doch die, ist vor allem von Tragik geprägt. So erfahren wir im Verlauf, dass der Vater umgekommen ist und man gewinnt den Eindruck, dass Johannes am Kaspar Hauser Syndrom leidet. Eine schwere Entwicklungsstörung, die durch soziale Isolation in Verbindung mit Misshandlungen entsteht. Er kann sich nur wenig mit Worten ausdrücken und ist abhängig von den Anweisungen seiner Mutter.

Luzifer deutet viele Elemente seiner Geschichte nur an. Im Vordergrund steht das Aufsaugen der Atmosphäre, um ein Gefühl für diese spezielle, religiös geprägte Lebenswelt zu bekommen. Ich muss zugeben, dass ich nicht der größte Fan von solchen Slow Burn Filmen bin und es manchmal etwas anstrengend fand, minutenlang auf eine Bergkette zu starren, oder Johannes dabei zuzusehen, wie er seinen Adler trainiert. Aber nachdem ich den Film etwas sacken lassen konnte, merkte ich, wie mir immer wieder neue Gedanken und Deutungen des Erlebten kamen. Und das schaffen wirklich nicht viele Filme.

Ein Leidensweg

Mutter Maria, die jahrelang Alkohol und Drogensüchtig war, hat für sich und ihren Sohn mittlerweile viele Routinen geschaffen. So sehen wir, wie die beiden regelmäßig beten und aus ihren Körpern ein Kreuz formen. An einer Stelle wird angedeutet, dass Johannes sich selbst befriedigt, nachdem er Kontakt zu einer Frau hatte. Direkt belehrt ihn Mutter Maria, dass jetzt der Teufel in seiner Hand steckt und er sich reinwaschen müsste. Die Beziehung der beiden ist dabei nie eindeutig. Mal scheint es so, dass Maria einfach nur eine sehr liebevolle Mutter ist, die sich toll um ihren Sohn kümmert, an anderer Stelle wird angedeutet, dass sie ihn missbraucht. Und dann sind da noch die gierigen Menschen außerhalb ihrer kleinen Bubble, die Maria vertreiben wollen, um das Skigebiet weiter auszubauen. Da sie das Haus nicht verkaufen möchte, werden die beiden täglich von herum schwirrenden Drohnen und Anrufen terrorisiert.

Gerade zu Beginn hatte ich noch den Eindruck, dass die beiden in einer eher altertümlichen Zeit Leben. Umso überraschter war ich, dass sie eigentlich umgeben von der modernen Zivilisation und zumindest ein paar anderen Menschen leben. Natürlich bleibt so die Frage offen, ob Maria ihrem Sohn damit viele Möglichkeiten in der echten Welt verwehrt und ihn in ihrer Welt gefangen hält. Immer wieder fragt sie “wo ist der Teufel?” und warnt Johannes davor in eine Höhle zu gehen.

Viele versteckte Details

Luzifer ist ein Film, den man am besten noch ein zweites Mal sehen sollte. Zu schnell verpasst man sonst gewisse Einstellungen, oder ist sich nicht sicher, ob man die Szene gerade wirklich richtig interpretiert hat. Regisseur Peter Brunner spielt hier sehr viel mit Assoziationen, ungeklärten Fragen und den Gefühlen der Zuschauenden. Das fühlte sich anfangs etwas frustrierend an, weil ich dachte ich hätte den Film nicht verstanden, beim Rewatch gewöhnte ich mich aber an diese Machart und fand Gefallen daran. Ich hab euch dazu auch ein spannendes Interview mit Brunner verlinkt, in dem er genauer auf den Dreh und weitere Hintergründe eingeht.

„Aber ab einem gewissen Punkt muss man sich trauen, seiner Intuition zu folgen, weil Film immer auch etwas Künstlerisches ist. Ich bin immer skeptisch gegenüber Menschen, die behaupten, etwas genau zu wissen. Ich arbeite im Team und finde es wichtiger, dass die Idee einen hat, und nicht, dass man eine Idee hat.“

Der Film basiert übrigens auf einer wahren Geschichte, die Susanne Jensen und Franz Jogowski in intensiver Zusammenarbeit neu inszeniert haben. Jensen ist eigentlich keine Schauspielerin, sondern Künstlerin und Pastorin und Schauspieler Jogowski hat sich nach eigenen Aussagen noch nie so intensiv auf eine Rolle vorbereitet. Dem Team war es wichtig, dass eine innige Beziehung zwischen den Figuren entsteht, sogar mit dem Adler trainierte er ein Jahr lang.

Das Ende von “Luzifer” kam mir nach den vielen ruhigen Momenten vor, wie ein besonders verstörendes Finale. Dieses österreichische Alpendrama ist definitiv kein Film für jemanden, der einfach nur unterhalten werden möchte. Falls ihr aber Lust auf einen sehr speziellen Film habt, der dazu einlädt Assoziationen auf sich wirken zu lassen, kann ich Luzifer definitiv weiter empfehlen.

Luzifer erschien am 28. April 2022 in den deutschen Kinos.


(Affiliate Links)


Von Alice

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert